Bericht des Ministeriums übersieht vor lauter Hoffnung in die Zukunft die Probleme der Gegenwart

Stellungnahme des Bündnisses "Wir wollen wohnen" zur Wohnungsmarktprognose 2040

Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen hat am 05.11.2020 eine neue Wohnungsmarktprognose vorgelegt. Dabei handelt es sich um ein „Wohnungsmarktgutachten über den quantitativen und qualitativen Wohnungsneubaubedarf in Nordrhein-Westfalen bis 2040“, erstellt durch das Institut GEWOS.[1]

Grundsätzlich begrüßt das Bündnis „Wir wollen wohnen!“, dass mit Hilfe aktueller Analysen und Prognosen die Wohnungspolitik auf wissenschaftlich fundierte Beine gestellt werden soll. Jedoch dürfen die Ergebnisse der nun vorgelegten Wohnungsmarktprognose bis 2040 für NRW nicht als weitgehende Entspannung der Wohnungsmärkte missverstanden werden. Deutlich benennt der Bericht die hohe und absehbar steigende finanzielle Mietbelastung vieler Haushalte und den zunehmenden Bedarf an bezahlbaren Wohnungen. Noch weniger ist ein Schulterklopfen für die Regierungspolitik der letzten Jahre angebracht, zeigt doch der Bericht eklatante Missstände wie das Fehlen hunderttausender barrierefreier und damit auch altersgerechter Wohnungen auf.

Die Kernbotschaft der Wohnungsmarktprognose lautet: die aktuellen Baufertigstellungs- und Baugenehmigungszahlen decken im Durchschnitt des Landes die errechneten Bedarfe. Es werden auf den ersten Blick also landesweit genug Wohnungen gebaut. Dies wäre in der Tat positiv zu sehen, hat sich die Wohnraumversorgung in vielen Städten und Gemeinden in NRW doch zuletzt immer mehr verschlechtert. Eine quantitative Entspannung durch eine Ausweitung des Wohnungsangebots kann dem entgegensteuern.

Auf die Einschränkungen hinter dieser Grundaussage geht jedoch auch der Prognosebericht ein. Die räumlich ungleichmäßige Entwicklung, v.a. zwischen Großstädten/Ballungsräumen und eher ländlichen Gebieten, führt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Das neu entstehende Angebot hingegen ist oftmals nicht passgenau zu den heutigen und errechneten Bedarfen, weil einerseits zu wenige Wohnungen, andererseits sogar zu viele entstehen. Überhänge an der Peripherie gleichen nicht aus, was in Ballungsräumen fehlt.

Darüber hinaus krankt das neu entstehende Wohnungsangebot nach Ansicht des Bündnisses „Wir wollen wohnen!“ daran, dass es sowohl bezüglich Art und Ausstattung als auch preislich in großen Teilen nicht den dringlichen Anforderungen der Menschen gerecht wird.

Methodische Probleme der quantitativen Wohnbedarfsbestimmung

Einer weiteren, methodischen Problematik des Berichts ist in Bezug auf die ersten Prognosejahre Aufmerksamkeit zu schenken: für die Berechnung des Nachholbedarfs (aufgrund der aktuell zu geringen Zahl an Wohnungen) greift der Bericht auf Leerstandszahlen des Zensus 2011 zurück, die durch eigene Berechnungen fortgeschrieben werden. Dieser methodische Ansatz kann jedoch zu erheblichen Differenzen im Vergleich mit aktuellen, kommunal erhobenen Leerstandszahlen führen, was bereits in vorangegangen Gutachten deutlich wurde. Auch das der Mieterschutz-Verordnung (MietSchVO) zu Grunde liegende Gutachten wies diese Schwäche auf, überschätzte die Leerstände und führte in der Konsequenz zum Abbau von Mieterrechten in einer Reihe von Kommunen. So ist auch in diesem Fall davon auszugehen, dass der Nachholbedarf tendenziell unterschätzt wurde und somit auf längere Zeit höhere Neubauzahlen notwendig sind. Es wird dadurch erneut deutlich, dass das Land endlich für landesweit zuverlässige Datenerhebungen Sorge tragen und ein Leerstandsmonitoring einführen muss.

Drastischer Mangel an altersgerechten, barrierefreien Wohnungen bleibt in der Berechnung unberücksichtigt

Auf ein wesentliches Problem der qualitativen Ausgestaltung des Wohnungsangebots geht der Prognose-Bericht dezidiert ein: den drastischen Mangel an altersgerechten Wohnungen heute und in Zukunft. Es fehlen laut Bericht bereits zum Ausgangszeitpunkt 2018 rund 438.000 entsprechende Wohnungen. Ein zusätzlicher Mehrbedarf wird mit ca. 233.000 Wohnungen angegeben. Dabei berücksichtigt der Bericht nur die Bedarfe von mobilitätseingeschränkten Personen über 65 Jahre.

An diesem Punkt weist der Bericht leider erhebliche Defizite auf. So vermeidet er die Begrifflichkeit der Barrierefreiheit, die gesetzlich und untergesetzlich klar geregelt ist, und verwendet stattdessen die unbestimmten Begriffe altersgerecht, barrierereduziert, schwellenarm etc. Durch diese Begrifflichkeiten bleibt in der politischen Konsequenz im Ungefähren, welche Wohnungen heute bereits klare Standards erfüllen und welche konkreten Qualitätsanforderungen künftig an den Wohnungsbau gestellt werden sollen. Für seine Berechnungen stützt sich der Bericht auf die Daten des Mikrozensus 2018, die wiederum auf der subjektiven Einschätzung der befragten Haushalte basieren. Die abgefragten Aspekte der Barrierereduktion sind jedoch für sich genommen ungeeignet zur Bestimmung altersgerechter, barrierefreier Wohnungen, weil sie lediglich auf Mobilitätseinschränkungen abstellen und Sinnesbehinderung, die gerade unter älteren Menschen sehr verbreitet sind, völlig außen vor lassen.

Doch selbst unter diesen grundsätzlichen Einschränkungen, die zu einer deutlichen Unterschätzung des Bedarfs führen dürften, kommt der Bericht zu einer schwerwiegenden Aussage: 672.320 altersgerechte Wohnungen müssten bis 2040 neu entstehen, ob durch Neubau oder Bestandsmaßnahmen. Gemessen am gesamten prognostizierten Neubaubedarf von knapp über 1 Mio. Wohnung wären dies 2/3 aller Wohnungen. Anders ausgedrückt: von 2018 bis 2040 müsste die Mehrheit aller neu errichteten Wohnungen altersgerecht sein. Die Realität hingegen spricht eine gänzlich andere Sprache. Die Ergebnisse des Mikrozensus 2018 zeigen, dass seit 2011 nur 18 % aller Wohnungen in dieser Art und Weise errichtet wurden. Setzt man die strengeren und eindeutigeren Kriterien „barrierefreien“ Bauens an, dürfte der Prozentsatz noch deutlich geringer sein.

Die Wohnungsmarktprognose 2040 muss insofern als dringlicher Appell an eine Kehrtwende hin zu Barrierefreiheit in Bezug auf die Neubauqualität gewertet werden. Die Landesregierung scheint aber das Gegenteil im Auge zu haben, wenn sie in der aktuellen Novelle der Landesbauordnung die hierfür relevanten Bestimmungen schleift oder verwässert.

Wohnungsmarktbericht stolpert über eigene Prämissen

Der Bericht geht weiterhin in einer zentralen These davon aus, dass der Neubau den qualitativen Präferenzen der Wohnungsnachfrager entspricht. Qualitative Präferenzen meint im Bericht den unterschiedlichen Wohnflächenkonsum nach Haushaltstypen, deren regional differenzierte Vorliebe für das Wohnen in Ein- und Zweifamilienhäusern oder Mehrfamilienhäusern sowie dem Wunsch aufgrund der Wohnstandards in einem Neubau zu wohnen. Es ist jedoch offenkundig, dass diese zentrale These gemessen am Kriterium der Barrierefreiheit keinesfalls der Realität entspricht, aber auch gar nicht erst untersucht wurde. Unter diesem Gesichtspunkt geraten allerdings viele weitere Betrachtungen der Wohnungsmarktprognose in den Sog fragwürdiger Prämissen.

Das gilt u.a. für die Freisetzungspotentiale im Ein- und Zweifamilienhausbereich, die der Bericht darin erkennt, dass ältere Haushalte aus ihren Ein- und Zweifamilienhäusern in altersgerechte Wohnungen ziehen könnten und somit Bedarfe an Ein- und Zweifamilienhäusern für Familien im Bestand, also ohne Neubau, gedeckt werden könnten. Wenn sich jedoch zeigt, dass diese altersgerechten Wohnungen im Neubau gar nicht erst entstehen und ggf. zu teuer sind, fällt dieses Potential wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Die Erfahrung zeigt zudem, dass die Älteren in ihren Eigenheimen wohnen bleiben, solange es körperlich einigermaßen geht und sie es sich leisten können. Häufig helfen Treppenlift, die Absenkung von Zugängen u.a., den Termin möglichst weit hinauszuschieben.

Die Wohnungsmarktprognose ist „sozial blind“

Die Frage der Bezahlbarkeit des Wohnens wird im Bericht zwar als Fokusthema behandelt und es finden sich einige wichtige Grundaussagen hierzu. Die Ausführungen bleiben aber sehr oberflächlich und finden vor allem keinen Eingang in den Hauptgegenstand der Untersuchung, nämlich die Ermittlung des künftigen Bedarfs an Wohnungen. Das ist insofern äußerst unbefriedigend, weil eine abstrakte Gegenüberstellung von Wohnungen zu Haushalten „sozial blind“ bleibt und kein Bild darüber abgeben kann, ob und von wem die Wohnungen tatsächlich angemietet/erworben werden können. Damit verschwinden in der Betrachtung u.a. die gesellschaftlich höchst problematischen Verdrängungseffekte, die Haushalte mit niedrigen Einkommen aus den teurer werdenden Wohnvierteln und Städten betreffen und zu Segregation führen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen jedenfalls, dass Neubau weitgehend im oberen Preissegment entsteht und somit den Bedarf nach preisgünstigen Wohnungen nicht decken kann.

Zuzustimmen ist den Aussagen des Berichts, dass sich insbesondere der Bereich preisgünstigen Wohnens zunehmend anspannt und für die Zukunft eine weitere Verschärfung angenommen werden muss. Dies entspricht den Erfahrungen der vergangenen Jahre und zahlreichen Untersuchungen.

Richtigerweise wird aus dieser Annahme eine steigende Bedeutung des öffentlich geförderten Wohnraums abgeleitet, da dieser von großer Relevanz für das preisgünstige Mietwohnungssegment ist. Nur leider geht der Bericht mit keinem Wort darauf ein, dass der Bestand öffentlich geförderter Mietwohnungen entgegen des Bedarfs seit Jahren kontinuierlich sinkt. Der Saldo zwischen einst geförderten Wohnungen, die aus der Preisbindung fallen, und neu errichteten Wohnungen mit Preisbindung ist weiterhin negativ. Die sehr geringen Förderzahlen (2019 waren es nur noch 5.463 Mietwohnungen) werden folglich zu einem noch niedrigeren Niveau des geförderten Wohnungsbaus führen und die bestehende Notlage weiter verschärfen.

Hier ist klar zu sagen: die Wohnraumförderung des Landes ist unzulänglich und muss dringend ausgebaut werden. Wir betonen in diesem Zusammenhang nicht nur unsere Forderung nach einer Ausweitung der aktuellen Wohnraumförderung, sondern auch die Notwendigkeit eines langfristigen Ansatzes zur dauerhaft gemeinnützigen und preisgünstigen Bewirtschaftung von Wohnungsbeständen.

 

 


[1]www.mhkbg.nrw/ministerin-ina-scharrenbach-bis-2040-werden-nordrhein-westfalen-im-durchschnitt-rund-46000

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